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Danksagungen

Dieses Buch ist langsam entstanden, weil als Nebenarbeit geschrieben. Zu seiner heutigen Form wäre es wohl nicht gebracht worden ohne die Unterstützung des Historischen Instituts der Universität Oulu und seines Leiters, Prof. Juha Manninen. Das Personal des Instituts hat wertvolle Hilfe bei der ADB-basierten Textgestaltung geleistet, wofür ich hier herzlich danken möchte. Ein Stipendium der Humanistischen Fakultät der Universität Oulu hat mir in der letzten Phase der Arbeit wesentlich geholfen. Mein besonderer Dank gilt Dr. Georg Gimpl, Deutschlektor an der Universität Helsinki, der, ohne Mühen zu scheuen, die sprachliche Korrektur vorgenommen hat.


Vorwort

Dieses Buch besteht aus drei selbständigen Essays. Sie kreisen jedoch alle um dasselbe Thema: um Spinozas Verhältnis zur Dialektik. Da man seit den 60er Jahren darüber besonders in Frankreich diskutiert hat, geht es hier zugleich aber auch um eine kritische Auseinandersetzung mit einem guten Stück neuerer französischer Spinoza-Rezeption, der eine ganz bestimmte Interpretation des Spinozismus zugrundeliegt. Zu den prominentesten Vertretern dieser Richtung rechne ich beim ersten Blick so verschiedenartige Autoren wie Louis Althusser und Gilles Deleuze wie ihre Adepten. Ich hoffe, daß es mir in der folgenden Darstellung gelungen ist, zu zeigen, daß im französischen Strukturalismus und Poststrukturalismus in bezug auf die Bewertung Spinozas ein geheimer Konsens herrscht.

Elemente dieses Spinoza-Bilds sind die folgenden: Spinoza sei, wenn nicht ein Anti-, zumindest ein Nicht-Dialektiker; er gestatte eine philosophiegeschichtliche Lektüre, die ihn als einen Gegenpol zu Hegel aufweist. In einer dazu parallelen Interpretationsrichtung wird Spinoza einem anderen Gegner des Hegelianismus, Nietzsche angenähert

Zu welchen Problemen eine Bestimmung des philosophiegeschichtlichen Orts von Spinoza führen kann, die sich nicht gründlich mit diesen Thesen


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auseinandersetzt, sieht man exemplarisch am Buch von Yirmiahu Yovel, Spinoza and Other Heretics. Der Autor analysiert den niederländischen Denker auf eine interessante Weise im Lichte einer Tradition der "Philosophie der Immanenz" und sieht in ihm zurecht eine der Schlüsselgestalten der Moderne. Zugleich aber nennt Yovel ihn einen "dunklen Aufklärer" (dark enlightener) 1 und meint damit eine Traditionslinie, die von Machiavelli und Hobbes bis auf Nietzsche, Freud und "vielleicht Heidegger" reicht. 2 Er stimmt mit dem einstigen Althusser-Schüler Pierre Macherey darin überein, daß Spinoza keine dialektische Logik mit teleologischem Ansatz akzeptieren konnte, 3 doch lehnt er zugleich Machereys Versuche ab, eine andere Form der Dialektik als die Hegelsche zu suchen. 4 Als Alternative dazu bieten sich die Wege von Marx und Nietzsche an. Doch sieht Yovel in Marx nur soweit einen Spinozismus, als auch dieser den Mensch-Natur-Dualismus zurückwies. 5 Marx bemerkte nach Yovel "den strammen Anti-Anthropomorphismus Spinozas" nicht, was nahelegt, daß Nietzsche doch der bessere Erbverwalter des Spinozismus sei. 6 Aber Yovel entgeht nicht, daß Spinoza sich im nietzscheanischen Gewand unbequem fühlt, obgleich auch er "ein Philosoph der Macht und Freude" sei. Deshalb sei es vonnöten, nach einem "rationalistischeren Nietzscheaner" Ausschau zu halten, der als Fortsetzer der spinozistischen Sache fungieren könne. Einen solchen glaubt Yovel in Freud zu finden. 7

Es fällt leicht, ähnliche Beispiele von Deutungen, die das "Nietzscheanische" im Spinozismus unterstreichen und in ihm eine Philosophie der Macht erblicken, in der neuesten Literatur aufzuzeigen. 8 So im Sammelband The Althusserian Legacy, der von den Freunden des Verstorbenen re-


1 Yovel 1992,S. 47, 109.

2 Ebd. S. 109.

3 Ebd. S. 44.

4 Ebd. S. 200.

5 Ebd. S. 95.

6 Ebd. S. 103.

7 Ebd. S. 134 f. "Something has gone wrong in Nietzsche's genealogy", meint Yovel, denn Spinoza sei zugleich "a Nietzschean and yet a lover of reason and permanence" (ebd. S. 134).

8 Um ein weiteres neues Beispiel zu nennen: Fernandez Garcia 1988, S. 195 ff. Fernandez akzeptiert weitgehend die Deutungen von Antonio Negri, Gilles Deleuze und Pierre-François Moreau, wonach Spinoza eigentlich ein "philosophe de la puissance" sei. Er hält ihre Forschungsresultate für so gesichert, daß man schon sagen kann, diese Lektüre ist ein "lieu commun", "un point de rencontre" (ebd. S. 195).


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digiert ist: "ein wichtiger Teil" des Althusserschen Lebenswerkes wird dort als "spinozistisch" beschrieben, ohne im mindesten etwas Problematisches in einer solchen These zu sehen. 9 Und in einem jüngst erschienenen Buch über Deleuze wird zu seinen besonderen Verdiensten gezählt, daß er in den letzten dreißig Jahren mit seiner Interpretation "die Spinoza-Forschung revolutioniert" habe. 10 Der englische Literaturkritiker Christopher Norris hat gar eine ganze Monographie verfaßt, Spinoza & the Origins of Modern Critical Theory, wo er diese Fäden zusammenknüpft. Auf den ersten Blick scheine eine "Ironie" darin zu liegen, daß Spinozas Ethik so "äußerst divergente Projekte wie Althussers strukturalen Marxismus und die Deleuzesche Schizo-Analyse" inspiriert hat; 11 bald aber glaubt Norris feststellen zu müssen, Spinoza stehe als der geistige Vater nicht nur hinter diese beiden Richtungen, sondern auch hinter der neuesten literaturtheoretischen Mode, nämlich der Dekonstruktion; daß Spinoza ein Derridascher Dekonstruktionist avant la lettre gewesen sei, sucht Norris damit zu beweisen, daß der Verfasser der Ethik die Wörter zur Imagination gezählt hat, woraus folgen würde, daß seine eigenen philosophischen Texte selbst dekonstruktiv sind! 12

Antonio Negri faßt in seiner letzten Publikation den Kern dieser wohl als "postmodern" zu nennenden Tendenz der Interpretation zusammen: "Spinoza redivivus [...] Keine Alternative zum Modernen, sondern Antimodernität". Spinoza ist aktuell geworden, weil sich der von Hegel eröffnete Zirkel von Definitionen der Moderne seinem Ende nähert. Gegen die Grundbegriffe der Moderne "von Descartes bis Hegel und Heidegger" - das individuelle Subjekt, die Vermittlung und die Transzendenz - setze Spinoza seine alternativen Begriffe des kollektiven Subjekts, der Liebe und des Körpers als Macht entgegen. Negri zählt drei zeitgenössische Autoren auf, die diese Antimodernität Spinozas mit Erfolg begriffen hätten: Althusser, der fand, daß Spinoza den "absolut originellen Begriff einer Praxis ohne Teleologie" begründe; Foucault, der diese Einsicht in einen "Mechanismus der Normenproduktion" umsetzte; und endlich Deleuze, der dem - im Sinne


9 Montag 1993, S. 51 ff. Nach Montag hätte "keiner der französischen Philosophen der 60er Jahre enger an Spinoza angeknüpft als Althusser" (ebd. S. 51); sein Spinozismus zeige sich vor allem darin, daß er "die materielle Existenz der Ideologie" setzt (ebd. S. 57). 10 Hardt 1993, S. 129.

11 Norris 1991, S. 66.

12 Norris, a.a.O., S. 68, 124. Nur ein paar Zeilen später muß Norris dann wieder zugeben, daß Spinoza "auch" durch und durch Rationalist war (ebd. S. 125).


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von Nietzsches "Übermenschen" - aufs neue konstituierten Subjekt eine Welt der absoluten Möglichkeit eröffne. 13

Obgleich Foucault sich nie eingehender mit Spinoza beschäftigt hat, nennt Negri auch ihn nicht ohne Grund. Somit werden die Interpretationen Althussers und Deleuzes in ein gemeinsames, bedingt als "structuralistisch" bzw. "poststrukturalistisch" zu nennendes Terrain eingeordnet, dessen genauere Umrisse allerdings wenigstens heute noch nicht immer eindeutig zu bestimmen sind. Die Schwierigkeit, dieses neue Terrain mit ausschließlich theoriegeschichtlichen Termini zu beschreiben, deutet darauf hin, daß es sich vielmehr um ein Epochen-Erlebnis handelt Die bisherige Moderne hätte Ende der 60er - Anfang der 70er Jahre eine Krise durchgemacht Es zeigen sich Konturen einer neuen Epoche, deren gedankliche Meisterung andere Konzepte verlangt als die der "fordistischen" Moderne. 14

Während Althusser & Co. in den 70er Jahren der Herausforderung der Zeitenwende noch mit einer Zuspitzung gewisser Momente bisheriger Modernität (Marxismus, kommunistische Politik) zu begegnen suchten, haben Deleuze und Foucault die postmoderne Fragmentierung der Welt akzeptiert und sie entwickeln eben darauf ihre Strategien - wie man aus dem berühmten Interview sieht, das sie 1972 gemeinsam für die Zeitschrift L'Arc gaben. 15 Und der "Schizo", dem Deleuze Anfang der 70er Jahre eine eingehende Betrachtung widmete, scheint sich eben auf die postmoderne Persönlichkeitsproblematik par excellence zu fokussieren. 16 Trotz dieser Diver-


13 Negri 1992, S. 149-151. Negri verweist hier auf Deleuzes Foucault-Buch. In dessem Appendix entwirft Deleuze eine Cyborg-Vision: der Mensch wird künftig nicht in seiner heutigen physischen Form bestehen. Das "Leben innerhalb des Menschen" befreit sich und überschreitet die bisherige Menschen-Form (vgl. Deleuze 1992, S. 124 ff. S. 130).

14 Viele Autoren setzen Ende der 60er - Anfang der 70er Jahre eine Zäsur, so zum Beispiel Harvey 1989, S. 141 ff. Harvey datiert den Durchbruch des Postmodernismus im Westen mit der offenen Krise des Fordismus und Keynesianismus 1973. Sie führte zu neuen, flexiblen Akkumulationsformen des Kapitals, denen eine Reihe strukturaler Verschiebungen in der Organisation der Gesellschaft folgte, wie die Beschleunigung der Kommunikation und ein damit verändertes Zeitgefühl, neue Formen der Konsumtion usf. (ebd. S. 285 ff.) Dies ist eine ernstzunehmende These, wenn Harvey auch etwas zu reduktionistisch zu sein scheint, wo er behauptet, daß dem Postmodernismus eine "emphasis upon ephemerality, collage, fragmentation" eigentümlich sei, so daß "dispersal in philosophical and social thought mimics the conditions of flexible accumulation" (ebd. S. 302).

15 'Die Intellektuellen und die Macht', in: Deleuze & Foucault 1977, S. 86 ff.

16 So auch Harvey, a.a.O., S. 53 ff.


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genz der Althusserschen und Deleuzeschen Projekte haben sie einen gemeinsamen Boden in einer Reaktualisierung Nietzsches, die aus einer Kritik an der Dialektik, am klassischen Subjektbegriff und an der Korrezpondenztheorie der Wahrheit besteht und die konsequenterweise in ein voluntaristisches Praxiskonzept (bei den Althusserianern ultralinks, bei Deleuze unbestimmt-anarchistisch akzentuiert) einmündet

Was aber die Spinoza-Deutungen im speziellen betrifft, darf man die Unterschiede nicht außer acht lassen. So verwirft z.B. Deleuze die Möglichkeit einer Dialektik in der Nachfolge Spinozas total, während der Althusser-Schüler Pierre Macherey vorsichtiger ist und eine neue, materialistische Version der Dialektik für möglich hält.

In den entsprechen Essays war ich bestrebt, diese verschiedenen Akzentuierungen zu beachten. Bei der Althusser-Schule konzentriere ich mein Hauptinteresse auf deren Versuche, Spinoza zu einem Vorläufer der Ideologietheorie umzustilisieren. Das hat mich dazu geführt, den Spinozistischen Wahrheitsbegriff und seine Lehre von den Ideen genauer zu erläutern. Obgleich ich nicht immer so detailliert vorgegangen bin wie dies vielleicht wünschenswert wäre, glaube ich doch gezeigt zu haben, daß Spinozas Lehre von der Wahrheit nur wenig mit dem Standpunkt der Althusserianer gemein hat Spinoza verwirft die Repräsentationstheorie nicht. Sein Begriff der wahren Idee steht völlig im Einklang damit. Dazu kommt aber noch die Lehre von den adäquaten Ideen, die die Repräsentationstheorie wesentlich korrigiert und ergänzt, ohne ihr dennoch zu widersprechen.

Der "Spinozismus" Althussers und seiner Nachfolger gründet auf einer recht eigenwilligen Lektüre. Tatsächlich fallen sie öfters in cartesianische Positionen zurück. So reproduziert beispielsweise die strikte Althussersche Unterscheidung von theoretischen Objekten und Realobjekten den altbekannten Cartesischen Dualismus von res cogitans und res extensa; ähnlich wiederholt die Lehre, daß die Ideologie eine "materielle Kraft" sei, mit verblüffender Genauigkeit Descartes' Konzeption der "materiellen Falschheit" der Ideen.

Was die Kritik der Althusserianer an der Dialektik betrifft, setze ich mich damit im letzten Essay auseinander - zwar kurz, denn die Deleuzianische "Differenzphilosophie" bietet in dieser Hinsicht eine interessantere Problematik. Nach der Althusser-Schule bestehe Hegels Hauptsünde in der Teleologie, hinter der ein zwecksetzendes Subjekt lauert; dies wiederum nötige Hegel, sich des Kunstgriffs der Negation der Negation als eines He-


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bels der Entwicklung zu bedienen, um das Resultat des Prozesses schon im voraus zu garantieren.

Diese Kritik will den materialistischen Standpunkt wieder aufnehmen und ist teilweise durchaus berechtigt. Bedenken stellen sich jedoch ein, wenn die Althusserianer Spinoza zu einem Pionier des Strukturalistischen "Procès sans sujet" umstilisieren wollen. Obgleich Spinoza einschärfte, daß die Kraft, mit welcher der Mensch im Dasein beharrt, begrenzt ist und von dem Vermögen der äußeren Ursache unendlich übertroffen wird (Eth. IV.3), ist er kein Philosoph der Subjektlosigkeit. Zwar stellt Spinoza eine Alternative der neuzeitlichen Subjektphilosophie dar, aber es geht dabei eben um alternative Weisen der Subjektkonstitution, nicht um das Aufgeben dieser Konstitutionsproblematik überhaupt.

Statt also die Abwesenheit der Dialektik bei Spinoza zu deklarieren, plädiere ich hier für eine konstruktivere Alternative: Man kann in Spinozas Philosophie nach Figuren einer "anderen" Dialektik fragen als nach denen vom Typ Hegels. Eine nähere Analyse des Conatusbegriffs zeigt denn auch, daß die Teleologie darin in "aufgehobener" Form bewahrt ist: sie ist selbstbezüglich geworden. Zugleich vermittelt der Conatus Substanz und Einzeldinge, er ist das "Dritte" zwischen ihnen. Ich habe versucht, zu zeigen, daß Spinozas Darstellung, die zum Conatus führt, durchaus analoge Schritte unternimmt als die Hegelsche Entwicklung durch die Negation der Negation. Der große Unterschied besteht darin, daß die Negation bei Spinoza immer nur ein ens rationis ist. Andererseits ist der Gedanke der Selbstbezüglichkeit das beiden Prozeduren Gemeinsame.

Deleuze hat sich überhaupt nicht näher mit Hegel beschäftigen wollen, aber auch der Althusser-Marxismus hat - wie auch die übrigen Richtungen marxistischer Philosophie - eine wichtige Leistung der (westdeutschen Hegel-Forschung der letzten Jahrzehnte nicht rezipiert. Ich meine die Studien Dieter Henrichs und Klaus Düsings, in denen die Dialektik Hegels wesentlich als eine Logik der Subjektivität entschlüsselt wird. Von der formalen Logik unterscheidet sich diese dadurch, daß sie selbstbezüglich ist. Damit rückt die Dialektik nicht nur in die Nähe der "Logik der Paradoxe"; auch die Einheit der Dialektik wird dadurch in einer ganz anderen Weise begründet als früher. Sie ist nicht mehr vorrangig eine Sammlung von "Gesetzen" oder "Elementen", die der einstige Diamat auch bei Hegel aufzählte, 17 sondern hat einen einheitlichen fons et origo in der selbstbezüglichen Subjektivität


17 Die "drei Grundgesetze" der Dialektik kennt jeder, der marxistisch-leninistische Philosophie studiert hat. Auch Lenin selbst zerlegte, als er seine bekannten


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Will man an dem Programm einer materialistischen Dialektik festhalten, geht es natürlich nicht an, an die Subjektivität allein anzuknüpfen. 18 Sonderbarer Weise aber haben gerade jene marxistischen Philosophen, die die Überreste des Hegelschen Idealismus mit Hilfe Spinozas überwinden wollen, nicht eingesehen, was der Spinozismus geradezu aufdrängt: statt selbstbezüglicher Subjektivität die selbstbezügliche Welt zum Ausgangspunkt zu nehmen, d.h. die Substanz oder Natur als causa sui. Dann wäre es möglich, Subjektivität als einen Sonderfall des allgemeinen Selbstbezugs zu deuten. Zu glauben, mit der Beseitigung der idealistisch konzipierten Subjektivität zugleich auch die Dialektik über Bord werfen zu müssen, erweist sich also wenigstens als voreilig. Es scheint vielmehr, daß man bei der Thematisierung der Probleme der Selbstbezüglichkeit für die dialektischen Denkfiguren noch Gebrauch findet Eben hier wäre Spinoza besonders aktuell, hatte doch die "Kategorie der Beziehung des Gegenstandes auf sich selbst", wie Feuerbach bemerkte, eine zentrale Stellung in seiner Philosophie. 19

Deleuzes Kritik an der Dialektik stützt sich nur teilweise auf einen uminterpretierten Spinoza. Bei ihm stellt Spinoza lediglich ein Glied in der Traditionslinie dar, die eine Alternative zur Dialektik entwickeln soll: eine "Logik der Differenz". Die Philosophie Deleuzes läßt sich in eine größere und facettenreiche Strömung einordnen, die das "Einheitsdenken" der klassischen Philosophie ablehnt. Heinz Kimmerle faßt ihr Credo präzis zusammen: "Heidegger und Derrida haben eindrücklich klar gemacht, daß als Alternative zur Einheit die Differenz gedacht werden muß, eine Differenz, die nicht selbst wieder in eine Einheit zurückmündet, sondern als Differenz erhalten bleibt". 20

Der Kern Deleuzianischer Dialektikkritik ließe sich so formulieren, daß sie ohne die Begriffe des Gegensatzes und des Andersseins auszukommen sucht Mit der "Differenz" soll eben nicht eine dialektische Opposition (die


Konspekte zur Logik Hegels anfertigte, die Dialektik in "Elemente", von denen er nicht weniger als sechzehn fand. Andererseits tadelte er Plechanow dafür, daß dieser die wichtigste Seite der Dialektik, die Identität der Gegensätze, nur als "eine Summe von Beispielen" versteht. Dies weist darauf hin, daß Lenin doch das Bedürfnis eines einheitlichen Grundes für die Dialektik erkannte (vgl. Lenin 1989, S. 212-214, 338).

18 Insofern ist die von den Vertretern des Diamat, z.B. gegen die Ansichten des jungen Lukacs, gerichtete Kritik ganz stichhaltig, daß dieser die Dialektik der Natur leugne und eine solche nur dort sehe, wo es menschliche Subjektivität gibt Ohne Naturdialektik ist eine materialistische Dialektik aber in der Tat nicht denkbar.

19 Feuerbach 1981:III, S. 179.

20 Kimmerle 1983, S. 116.


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immer das Andere und somit letztlich das Ganze voraussetzt) gemeint werden. Die Entitäten, die voneinander differieren, setzen einander nicht als jeweiliges Anderssein; sie haben überhaupt kaum Beziehungen untereinander. Um ein Beispiel Deleuzes anzuwenden: der Herr verhält sich zum Sklaven nicht wie zu seinem Anderen, wie noch in der Herr-Knecht-Dialektik Hegels; er ignoriert den Sklaven ganz einfach, und genießt von seiner eigenen Positivität. Somit kann es auch zu keiner Entwicklung kommen und Deleuze rehabilitiert denn folgerichtig die "ewige Wiederkehr" Nietzsches.

Man kann fragen, inwiefern das Programm einer derartigen "Logik der Differenz" durchsetzbar ist. Sie führt erstens dazu, daß die Welt in lauter differente Entitäten ("Singularitäten") zerfallt, die nur je sich selbst bejahen, und so wird die Begründung der Einheit der Welt problematisch - falls man sie nun überhaupt begründen will. Deleuze greift auf den von Duns Scotus geprägten Begriff der Univozität zurück, der die Einheit und Gleichmäßigkeit des Seins wiederherstellen sollte. Das Pech damit ist nur, daß die Univozität nichts anderes ist als ein Prädikat einer Aussage, die auf beliebige Dinge bezogen werden kann. Die Einheit der Welt wäre demnach nur semantisch begründet.

Zweitens aber führt die "Logik der Differenz" zu verwickelten Problemen auf dem Gebiet der Moralphilosophie. Um Heinz Kimmerle noch einmal zu zitieren: "Wenn man aber mit der einen Ganzheit des Denkens (oder des Seins) die Einheit verabschiedet und der Vielheit Raum schafft, kommt einem auch der eine Sinn abhanden [...] Man öffnet mit anderen Worten dem Nihilismus, der den Sinn leugnet, Tor und Tür. Und in der Tat verlangt das Differenzdenken den Durchgang durch den Nihilismus". 21 Zwar ist Kimmerle selbst optimistisch: er meint, daß der Nihilismus nicht das letzte Wort habe, denn auch im Rahmen einer überall herrschenden Differenz sei es möglich, Sinneinheiten zu bilden. "Im Meer der Vielheit tauchen immer wieder Inseln von Sinn auf, die sich zu Inselgruppen oder kleineren und größeren Kontinenten zusammenfügen können". 22 Wenn man sich aber mit den Versuchen Deleuzes vertraut macht, Spinozas Ethik im Geiste der Differenzphilosophie zu interpretieren, muß man hinsichlich der Überwindung des Nihilismus beträchtlich skeptischer werden.

Die Deleuzianische Alternative zur Dialektik erscheint in letzter Instanz ebensowenig überzeugend wie seine Spinoza-Interpretation, die in ihrer Forciertheit sich durchaus mit der der Althusserianer messen läßt Das Fazit


21 Ebd. S. 120.

22 Ebd. S. 120 f.


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seiner Kritik läuft denn auch darauf hinaus, die Dialektik einfach zu ignorieren, so daß die "Differenzphilosophie" in den Arbeiten der 70er Jahre in eine Logik der Délire und Désir ausufert.

Im letzten Essay versuche ich die Unterschiede zwischen Hegel und Spinoza zu beleuchten. Es genügt nicht, Feuerbach paraphrasierend zu behaupten, Hegel sei der umgekehrte Spinoza, da bei ihm die Subjektivität das Prius sei, bei Spinoza demgegenüber die Substanz. Ähnlich - und dazu noch treffender - ließe sich nämlich schon das Verhältnis von Spinoza und Fichte charakterisieren.

Hegels Besonderheit in dieser Frage liegt vielmehr darin, daß er in seiner Dialektik den klassischen Form-Inhalt-Unterschied (den Kant mit aller Deutlichkeit setzte) zu beseitigen versucht. Er glaubt damit das Kunststück zu vollbringen, daß er sich an die Selbstbezüglichkeit der menschlichen Subjektivität anlehnt und den Inhalt aus dem Subjekt selbst ableitet. Eben diese Prozedur erzeugt nicht nur die "Teleologie", wofür die Althusserianer - diesmal mit Recht - Hegels Dialektik tadeln. Es führt auch dazu, Negativität als etwas Reales aufzufassen, was dem Geiste des Spinozismus ganz widerspricht.

Spinoza stellt die Substanz als das Prius auf, woraus folgt, daß er die Form und den Inhalt der Erkenntnis unterscheiden muß. Ist doch die Substanz das Objektive (im modernen Sinne des Worts), nach dem das Subjekt sich richten muß. Dies führt dann angemessen zur "Duplizität" von Wahrheit und Adäquation.

Eine "dialektische Logik" formuliert Spinoza natürlich nicht bewußt, wie Hegel. Dergleichen darf man von Spinoza nicht einmal fordern, weil seine Epoche für ein solches Unterfangen nicht reif war. Man kann bei ihm aber nach den Ansätzen zu einer solchen Logik fragen. Und tatsächlich findet man sie. Die göttliche, substantielle Logik unterscheidet sich von der Logik der modalen Welt, der "communis ordo naturae". Die Substanz bezieht sich nur auf sich selbst; sie ist in sich, wird durch sich selbst begriffen, ist als causa sui Ursache und Wirkung, Essenz und Existenz zugleich. Alle Ideen und Sachverhalte, die sich auf Gott als Substanz beziehen, müssen demnach diese Selbstbezüglichkeit widergeben. So ist die Wahrheit Maßstab ihrer selbst und die Tugend Belohnung ihrer selbst. Eben in dieser Selbstbezüglichkeit, die für die "göttliche Logik" charakteristisch ist, besteht die Dialektik Spinozas. Die Logik der Subjektivität, die die Grundlage der Hegelschen Dialektik bildet, ist vom Standpunkt des Spinozismus nur ein Sonderfall und ein Abglanz der allgemeinen göttlichen Logik.

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